Die Corona-Pandemie geht im November 2020 in ihre zweite Welle. Wo stehen wir und welche Richtung schlägt die Konjunktur ein? Wie reagieren neben institutionellen Investoren die semiprofessionellen Kapitalanleger wie Family Offices und vermögende Privatanleger? Wir sprechen mit Dr. Philip Gisdakis, Chefanlagestratege (CIO) Wealth Management und Private Banking bei der HypoVereinsbank.

Herr Dr. Gisdakis, die Gretchenfrage in diesen Corona-Zeiten lautet: Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation und wie wird sich die Gesamtwirtschaft Ihrer Erwartung nach in den kommenden Monaten entwickeln?
Dr. Philip Gisdakis Mit Ausbruch der Pandemie hatten wir einen scharfen Konjunktureinbruch wie seit der Großen Depression im Jahr 1929 nicht mehr erlebt. Anschließend setzte in den Sommermonaten eine erstaunlich schnelle Erholung ein. Mit der zweiten Welle der Pandemie scheint sich dieses positive Momentum wieder zu drehen, die anfängliche Erholungsphase ist somit nicht linear fortschreibbar. Eindeutig spürbar ist jedenfalls der geld- und fiskalpolitische Stimulus, der unsere Wirtschaft bislang vor dem Schlimmsten bewahrt hat.
Wie beurteilen Sie die Situation an den Finanzmärkten, besonders an den Börsen?
Dr. Philip Gisdakis Die Unterstützung von geld- und fiskalpolitischer Seite wird über einen sehr langen Zeitraum anhalten. Damit bleiben die Zinsen weiterhin sehr niedrig und die Liquidität im Markt hoch. Auch wenn sich die Kurse nach den panischen Reaktionen im Frühjahr inzwischen wieder erholt haben: Die Situation Ende Oktober zeigt eindeutig, dass wieder sehr viel mehr Volatilität an den Aktienmärkten besteht.
An der Börse werden die Gewinnerwartungen gehandelt, und zwar nicht die kurzfristigen Schätzungen, die erst zeitverzögert von den Analysten angepasst werden, sondern die Prognosen für 2021 und 2022. Hierbei muss man differenzieren. Nicht alle Verluste aus der Corona-Zeit werden sich aufholen lassen, während andere Unternehmen kaum betroffen sind.
Die gute Nachricht lautet, dass die Unternehmen in den zurückliegenden guten bis sehr guten Jahren große Liquiditäts- und Eigenkapitalpolster aufgebaut haben. Hinzu kommt die staatliche Unterstützung. Die Überlebenschancen für die meisten Unternehmen stehen also gut. Und falls nicht, haben auch die Banken ausreichend Rückstellungen für einen moderaten Anstieg des Insolvenzgeschehens. Langfristig wird sich die Frage stellen, ob die Unternehmen tragfähige Geschäftsmodelle haben und zukünftig (wieder) Geld verdienen können.
Die Immobilienmärkte haben sich bislang als krisenresistent erwiesen, von Ausnahmen wie dem Non-Food-Einzelhandel, der Hotellerie und einigen anderen Spezialimmobilien einmal abgesehen. Ist diese Stabilität nur eine Momentaufnahme, die bald revidiert werden muss, oder fundamental begründet?
Dr. Philip Gisdakis Auch hier hängt die Stabilität nicht zuletzt an der Geld- und Fiskalpolitik und weiteren Gegenmaßnahmen, welche den Durchschlag der Pandemie auf die Branche abgefedert haben. Doch das ist nicht der einzige Grund: Grundsätzlich ist die Nachfrage vor allem nach Wohn-, aber auch nach Gewerbeimmobilien hoch. Auch Investoren sind weiterhin auf der Suche nach rentablen und vergleichsweise sicheren Kapitalanlagen wie Immobilien.
Welche strukturellen Auswirkungen die Pandemie langfristig haben wird, muss sich erst noch zeigen. Manche Trends wie beispielsweise das Remote-Working gab es ja schon vorher, im HypoVereinsbank Tower hier in München haben wir Smart-Working schon vor Jahren eingeführt. Solche Trends werden durch die Krise nur beschleunigt. Wahrscheinlich werden die Qualitätsansprüche an die Flächen noch steigen – auch bei Wohnungen, wenn die Menschen künftig auch dauerhaft mehr von Zuhause arbeiten.
Sie sind bei der HypoVereinsbank unter anderem für die Themen Wealth Management und Private Banking zuständig. Family Offices und vermögende Privatanleger gehören zu Ihren Stammkunden. Welche Rolle können Real Assets – also Sachwert-Investments wie Immobilien, Private Equity oder Infrastruktur – für die Kapitalanlage dieser Kunden spielen?
Dr. Philip Gisdakis Ganz allgemein gesprochen können langfristige Investments wie Real Assets dann eine wichtige Rolle im Portfolio übernehmen, wenn es sich um sehr lange Zeithorizonte der Anleger handelt. Mit Sachwerten lassen sich Wertschwankungen und Renditeerwartungen im Portfolio stabilisieren.
Allerdings sind gerade vermögende Unternehmerfamilien häufig bereits langfristig und strategisch investiert, wenn nämlich ihr Vermögen zu einem großen Teil im eigenen Betrieb gebunden ist. Zudem ist oftmals das direkt gehaltene Immobilienvermögen solcher Familien traditionell groß. Bei der darüber hinaus gehenden Kapitalanlage ist deshalb die Liquidität ein wichtiges Kriterium. Liquide Assets – also vor allem Wertpapiere – werden dann übergewichtet. Bei anderen Sachwerten beobachte ich einen Trend zu Private Equity und Infrastruktur. Letztlich sind Family Offices sehr individuell, pauschalisieren fällt deshalb schwer.
Es gibt also signifikante Unterschiede zu institutionellen Investoren wie Versicherungen, Versorgungswerken oder auch Stiftungen?
Dr. Philip Gisdakis Ja, ganz genau. Zwar sind auch die institutionellen Investoren zumeist sehr langfristig orientiert. Liquidität ist allerdings weniger entscheidend. Sie setzen auf Sachwerte zur Portfoliostabilisierung und zur Generierung möglichst verlässlicher Cashflows. Zudem steht Diversifizierung im Fokus, es gibt ja zumeist kein Einzel-Exposure in ein größeres Betriebsvermögen. Und zu guter Letzt sind die Institutionellen viel strikter reguliert. Stiftungen spielen ein wenig eine Sonderrolle.
Wie agieren die Family Offices und die größeren Privatvermögen denn jetzt in der Krise? Beobachten Sie nennenswerte Umschichtungen?
Dr. Philip Gisdakis Am Investmentstil hat sich durch COVID-19 grundsätzlich nichts geändert. Viele Anleger haben die Kurseinbrüche im Frühjahr stattdessen genutzt, Liquidität mobilisiert und investiert. Andere sind vorsichtig und warten erstmal ab. Panikartige Verkäufe habe ich jedoch so gut wie gar nicht beobachtet.
Mittel- bis langfristig wird uns Corona irgendwann auch nicht mehr beschäftigen. Andere Rahmenbedingungen, wie die wahrscheinlich noch lange anhaltenden Niedrigzinsen und das makroökonomische Umfeld werden viel mehr Einfluss auf den Erfolg einer Anlagestrategie und auf die Portfoliogestaltung der Anleger haben. Wir sollten uns heute die Frage stellen, ob wir die Spielräume durch die Niedrigzinsen und die Fiskalmittel effizient und langfristig sinnvoll einsetzen, um die Herausforderungen von morgen zu lösen.
ESG - FAQ
Was bedeutet die Abkürzung ESG?
Die Abkürzung ESG entspricht den englischen Ausdrücken
- Environmental (Umwelt)
- Social (Soziales)
- Governance (Unternehmensführung)
ESG ist mittlerweile gängiger Standard für nachhaltige Geldanlagen und Investments.
Was sind ESG-Kriterien?
ESG-Kriterien werden in die Bereiche Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) aufgeteilt.
Environmental: Unternehmen treffen Maßnahmen und Vorkehrungen, um die direkten und indirekten Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Umwelt zu verringern.
Social: Die Möglichkeit sicherstellen, dass sich Mitarbeiter, Kunden und alle anderen Menschen am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben beteiligen können.
Governance: Klare Prozesse und verbindliche Werte werden als Basis für nachhaltiges Handeln definiert.
Die ESG-Kriterien haben sich als Standard nachhaltiger Geldanlagen und Investments etabliert.
Wie sieht es mit der Rentabilität der nachhaltigen Investments aus?
ESG-Produkte schneiden meist nicht schlechter ab als herkömmliche Investitionen. Zusätzlich zahlen sie auf den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel hin zu mehr Klimaschutz und globaler Verantwortung ein. Auch können sie meist durch geringere Reputationsrisiken im Geschäftsmodel überzeugen.
Welche Fonds/Investments/Investitionen sind nachhaltig?
Einige Anbieter haben oder entwickeln aktuell nachhaltige Investments. Bei Wealthcap haben wir das Thema Nachhaltigkeit fest in unserer DNA verankert und sieben Grundsätze nachhaltigen Handelns definiert.
Nachhaltige Werte zu schaffen heißt bei Wealthcap:
- Immobilien-Investitionen beurteilen wir anhand eines festen ESG-Kriterienkatalogs und betrachten diese über den gesamten Lebenszyklus.
- Bei Zielfondsinvestments prüfen wir in der Due Diligence intensiv den Zielfondsmanager und den Investmentansatz im Hinblick eines ESG-Gesamtkonzeptes.